Briefe 2011


Kontakt: schmidd@zeitdisein.com | Präambel | 2008 | 2009 | 2010

Briefe

babbelClub | Letters from Africa [a], Iran [p], Mexico [m] | •••••


|1 |2| | 1.5.2011, HM | 2.5.2011| 9.5.2011 | 10.5.2011 | 11.5.2011 | 23.5.2011 | 24.5.2011 | 26.6.2011 | 24.12.2011 |

Register


Dear friends, people of good will, today or soon.
We really wish you gonna doing well. Even the world in total doesn't look like. | preface | •••


Freunde, Leute, die jetzt schon guten Willens sind oder bald.
Wir wünschen unseren Freunden allen eine gute Zeit, selbst wenn es im großen und ganzen derzeit weniger danach ausschaut.| Vorrede | •••


1. Mai 2011 [›Despotien‹ im postkolonialen Raum. Spätfolgen. Einige Details. Diskurs. (ded et al)]
[In ›klassischer‹ Terminologie auch: »Der postkoloniale Raum. Von der ›Tyrannis‹ zur ›Despotie‹. Ist ›Demokratie‹ der neue Schafspelz des Imperialismus – a streetcar named desire? Was meinen die Schafe?«]
Im weiteren folgende Themenabschnitte:

Beruhigungsmaßnahmen: billigeres Brot, Erhöhung der (unproduktiven) Staatsdienersalairs.
Die Empfehlung: ›Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben‹ scheint nicht mehr ganz so ›en vogue‹. Dort.
Dennoch ist eine der wichtigsten Ursachen für besagte Unruhen und Aufstände der spekulativ motivierte und industriell bedingte Preisauftrieb für Nahrungsmittel. (E10 ›Kahlschlagdiesel‹ treibt Nahrungsmittelpreise vor sich her und hoch).

Vielleicht am treffendsten gesagt, wenngleich noch immer in Euphemismen linksliberal beschränkter ›demokratischer‹ Träumereien:


›Freiheit für den Staat. Hauptgegner der arabischen Demokratie sind die Oligarchien.‹
Im Westen nichts Neues. Was also soll der Aufstand nützen?

Tote in Gaza 2009

Diskutierter/kommentierter Vorlagetext von Samir Aita, Le Monde diplomatique, April 2011, S4

»… was seit den 1970er Jahren den ›arabischen Sonderweg‹ ausmacht: In diesem Teil der Welt sind die Monarchien absolut und die [nominellen] Republiken durch Präsidenten auf Lebenszeit (oder gar durch Familiendynastien) okkupiert, also durch ›Machthaber‹ [Kompradoren], die sich über die im [(anti)kolonialen] Unabhängigkeitskampf errungenen staatlichen Institutionen gestellt und sich die für ihren Machterhalt nötigen Instrumente geschaffen haben.« –
Das ist oder war zumindest die ›Belohnung‹ für die Unterstützung ›imperialistischer Interessen‹, besser ›imperialistischer Interessenten‹ an Rohstoffen, ›offenen‹ Absatzmärkten für Billigprodukte (bspw. tiefgefrorene Schlachtabfälle) oder an (›feindlicher‹) Übernahme ganzer Produktionszweige (bspw. Tomaten, Anbau und ihre industrielle Verwertung) und anderer geostrategischer Interessen (kalter Krieg, Palästina-Frage u. dgl.).

»Zweifellos spielten die , Geheimdienste eine entscheidende Rolle: Sie [die lokalen; ganz zu schweigen von den ebenso aktiven ›imperialistisch interessierten‹ Diensten] unterstanden allein den Herrschern und waren der Kontrolle durch das Parlament oder die Regierung völlig entzogen. Mitglieder der Geheimdienste konnten häufig auch Minister zurechtweisen oder ihnen Entscheidungen aufzwingen. Diese krakenartigen Dienste kosteten allerdings viel Geld – ebenso wie die Vetternwirtschaft innerhalb der Einheitsparteien und ihrer Bündnispartner.
Allerdings kaum soviel wie im Fall von Ägypten allein die US-amerikanische Militärhilfe, jährlich etwa 1,3 Milliarden US-Dollar
. Die nebenbei stattfindende Individualbereicherung/Plünderung öfftl. Eigentums wird zwar von denselben Figuren betrieben, fällt aber nicht in den eigtl. Etat der ›Dienste‹. Zum Prinzip siehe u. a. R. Luxemburg, Akkumulation, Teil 3, S.286ff.


»Ein Teil der anfallenden Gewinne [aus dem Ölgeschäft] floß [und fließt] mit Wissen der Ölmultis [und der ›imperialistischen‹ Demokraten (Regierungen] […] direkt in die Taschen der Herrscherfamilien [Clans] – königlicher wie ›republikanischer‹. […] weitere Einnahmequellen: Provisionen für die Vergabe ziviler wie militärischer öffentlicher Aufträge, ›Neben‹-Gewinne bei der Privatisierung von Staatsbetrieben oder bei Partnerschaften der ›Öffentlichen Hand‹ mit Privatfirmen [Public-Private-Partnership (PPP)].« –
Alle ›denunzierte‹ Techniken sind keine Eigengewächse der Kompradoren, sondern Importe aus den ›imperialistischen Metropolen‹. Eine Art Zweitverwertung ›guter Ideen‹. Wenn sich kein Geschäft/Gewinn mit ›Privatisierungen‹, PPP u. ä. Techniken machen ließe, würde kein ›Privater‹ ›investieren. Es ist dabei unerheblich, ob diese Gewinne/Profite aus einer folgenden Minderung des Arbeitslohnes resultieren, aus einer interessierten Fehlbewertung der Objekte beim Verkauf oder dgl. Nebenbei bemerkt, bezogen auf die Gesamtlage sind ceteris paribus auch ›Verringerungen‹ der Belegschaftsgrößen (Anzahl lohnabhängiger Beschäftigter) als Minderung des Arbeitslohnes zu bewerten, desgl. Arbeitszeitverlängerungen. Beides auch öfter in Kombination.


»Die Globalisierung der arabischen Märkte und die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wie auch die Programme der Europäischen Kommission für den Mittelmeerraum haben den Zugriff der jeweiligen Machthaber auf die Wirtschaft entscheidend gefördert.« –
Selbstredend zumindest mit Billigung der ›interessierten Imperialisten‹
. Zu deren Werkzeugen (im weiteren Sinn) zählen u. a. IWF und EU (hier wird die Kommission genannt, die nicht das einzige EU-Instrument ›zur Vertretung interessierter Kreise‹ ist).


»Da […] die großen multinationalen Unternehmen in vielen Branchen wie der Zementindustrie oder Energieversorgung Monopole oder Oligopole etabliert hatten, konnten sie mit der Staatsführung eine Aufteilung der Gewinne aushandeln [ohne Konkurrenz, Markt]. In den Führungsetagen der internationalen Konzerne wußte man [und weiß] immer, wo und welche ›Partner‹ sich für Investitionen anbieten: die Familien Traboulsi und al-Matteri in Tunesien, die Clans der Sawiri und der Ezz in Ägypten, der Makhlouf in Syrien oder die Hariri-Familie im Libanon. Sie alle stammen aus dem Clan oder dem Dunstkreis der jeweiligen Machthaber. –
Immerhin war/ist in den USA auch ein Präsident, Bush, Sproß von Bush Oil, sein Vize Cheney – der seine Herkunft auf einen Konsorten Wilhelms des Eroberers, Ralph de Chesney, zurückführt (Hastings 1066) – war CEO von Haliburton, zwei prominente Beispiele stellvertretend für eine endlose Liste weiterer solcher Verquickungen. Daß in West-Europa die eigtl. aktiven Bourgeois sich etwas mehr im Hintergrund und dafür besser konditionierte Handlanger halten, ändert an den Verhältnissen grundsätzlich nichts. Die sehr schmale personelle Basis der Herrschaft in diesen rel. zurückgebliebenen – oder zurückgeblieben gemachten – Ländern ist nur ein anderer Ausdruck ihrer Rückständigkeit und Abhängigkeit. Vor allem durch die rel. viel größere Zahl der ›Reichen‹ in den entwickelten Ländern entsteht dort der Schein des Demokratischen.

»Es folgte das große Geschäft mit Immobilien, angefangen mit dem grandios inszenierten ›Wunder von Dubai‹, fortgesetzt mit spektakulären Bauvorhaben in anderen arabischen Ländern. Sie alle boten die Chance, die Verquickung öffentlicher und privater Funktionen und Interessen zu vertuschen. Die ›Machthaber‹ konfiszierten einfach Grund und Boden ›in öffentlichem Interesse‹ und boten sie […] zu attraktiven Preisen an.
[…]
Das Schmiermittel lieferten die Banken. Über sie wurden die ›schmutzigen Gelder‹ der Machtcliquen gewaschen und über den […] Immobiliensektor in den Wirtschaftskreislauf zurückgeleitet. –
Ähnliches geschieht auch in den ›imperialistischen Zentren‹, der Gemeinwohlvorwand ist keine spezifische ›Banane‹; für die BRD siehe bspw. Startbahn West (Flughafen Frankfurt) oder das Olympia Bau- und Veranstaltungsvorhaben in Garmisch-Partenkirchen und andere. Es ist bezeichnend für jede Herrscherklasse/Clique, daß sie ihr Sonderinteresse als Gemeinwohl darstellt oder es zumindest versucht. Für den Zusammenhang ist weniger entscheidend, ob dieses Sonderinteresse auch für die Allgemeinheit in Teilen unvermeidlich nützlich ist. ›Das muß eben hingenommen werden‹, wie auch ein Sklave bloß dienlich ist, wenn er lebt, also etwas zu essen bekommt etc.

»[Der Preis: Schwächung des Staates, ›weniger Staat‹ …] Die Minister wurden/werden von den Machthabern ›kooptiert‹ (hinzuernannt). [Bestenfalls waren/sind es] Technokraten, die Erfahrung [Auffassungen] aus internationalen Institutionen – vorzugsweise der Weltank – mitbringen. Solchen Ministern [fehlt] nicht nur die demokratische Legitimation, sie hatten/haben auch kein Programm.
[…]
Heute boomen die Privatisierungsgewinne [zu Lasten] der öffentlichen Dienste. Daß alle staatlichen Versorgungsleistungen zurückgefahren werden [nebenbei ein allgemeines Phänomen, das einen Teilbereich der ›Globalisierung‹ euphemistisch umschreibt], belegen auch die Weltentwicklungsberichte des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP). Selbst in Dschidda, im reichen Saudi-Arabien, kommt Trinkwasser nur an einem Tag in der Woche aus der Leitung. […]
In den arabischen Ländern lebt heute ein Drittel der Erwerbsbevölkerung von Gelegenheitsjobs, meist im informellen Sektor. Obwohl diese Leute von der Statistik gar nicht erfasst werden, liegt die Arbeitslosenquote seit zwanzig Jahren im zweistelligen Bereich. Ein weiteres Drittel ist zwar offizieIl im formellen Sektor beschäftigt, doch in Wahrheit handelt es sich überwiegend um Arbeitskräfte auf Tageslohn- oder Honorarbasis oder um ›Angestellte‹, die weder einen Arbeitsvertrag noch Anspruch auf Sozialleistungen oder irgendwelche gewerkschaflichen Rechte haben. Arbeitnehmer im Sinne einer festen Beschäftigung gibt es eigentlich nur noch in den Staatsbetrieben und in der Verwaltung. Nur hier gelten noch soziale Rechte […].
Der beträchtliche Zustrom von Migranten hat den Arbeitsmarkt noch stärker fragmentiert. […]. In den vergangenen zehn Jahren sind die Kinder des arabischen ›Baby- booms‹ ins arbeitsfähige Alter gekommen. Diese jungen Menschen verfügen über ganz neue kulturelle Kompetenzen. Es erstaunt deshalb kaum, daß jetzt allenthalben so vielfältige und einander widersprechende soziale und spezifische Forderungen laut werden. –
In der Tendenz eine›globale‹ Erscheinung. Nur graduelle Unterschiede, nicht mehr, als es dem Entwicklungsunterschied zu den ›imperialistischen Zentren entspricht. Eher geringer.

Als Resümee folgt noch einiger Unsinn wie das ›Verschwinden der Monopole der Machthaber‹, das ›Versiegen ihrer obskuren Einnahmequellen‹, wodurch ›neue unternehmerische Energien freigesetzt werden‹. Also auf zu neuen Monopolen, neue Individuen/Führer an Stelle der alten, neue Cliquen, eben mehr Konkurrenz etc. unter den Herrschenden. Für eine bessere und gerechtere Herrschaft. Aber kein Ende der Herrschaft. Nicht wert weiter darüber zu reden.
| 1.5.11 | •••

Einige Anmerkungen [hem, 13.5.2011]

Mir ist nicht klar, worauf dieser Artikel vom Serge Halimi hinauswill, meiner Ansicht nach vermengt der zwei Dinge: Notwendigkeit zur Selbstkritik einerseits und Verschaffung von Respekt auf der anderen Seite.

Das Gadaffi-Regime hätte natürlich jede Menge Selbstkritik nötig gehabt, wie seinerzeit auch das irakische Regime von Saddam Hussein. Beide Regime haben bzw. hatten es andererseits nicht geschafft, sich seitens der imperialistischen Interventionsmächte hinreichend Respekt zu verschaffen, mit der Folge, daß sie beide vernichtet werden bzw. wurden und daß die Eliten je nach politischer Opportunität liquidiert werden.

Saddam-Hussein und Gadaffi haben also offensichtlich beide was falsch gemacht, oder beide hatten nicht genügend Kraft, es erfolgreicher zu machen. Zwei aktuelle und beinahe parallele Fälle sind Nordkorea und der Iran. Auch diese Regime brauchen dringend (dringend!) Selbstkritik, aber die dort einfach totzuschlagen trauen die westlichen Interventionsmächte sich nicht, denn, es könnte immerhin sein, daß die Atomwaffen haben, und selbst wenn nicht (oder noch nicht), so wären die Folgen einer Intervention in Nordkorea oder Iran unkalkulierbar.

Das Schlüsselwort meiner Einschätzung nach ist also Respekt: Genau dann wird man in Ruhe gelassen seitens imperialistischer Interventionsmäche, wenn die vor einem Respekt haben.

Zwei Sachen am Rande kommen mir oft in den Sinn. Das eine: Um sich Respekt zu verschaffen, muß man gar nicht besonders viel Macht haben. Die westlichen Interventionisten haben jeden Respekt vor ganz kleinen
Gruppen wie etwa der damaligen Hamburger Truppe um Atta&Co, und ich glaube, sie schlafen schlecht und haben Alpträume, wenn sie sich vorstellen, sie wachen eines morgens auf und zehn ihrer Städte sind atomisiert.

Die andere Sache, an die ich mich manchmal erinnere, hat zu tun mit Erbarmen: Meine kurdischen Freunde, die von fast aller Welt gequält wurden, und die aus lauter Verzweiflung damals im Irakkrieg mit den US-Interventen kollaboriert hatten. Als ich die wieder traf und deren offensichtliches schlechte Gewissen sah, die Qual in ihren Gesichtern („… was hätten wir denn tun sollen”). Jeder Respekt vor denen hatte sich aufgelöst, und, Erbarmen, wie gesagt, war das Wort, das mir einfiel, mit den nach wie vor natürlich kurdischen Freunden. | HM | 1.5.11 | •••


2. Mai 2011 [Am Anfang war der Rote Scheich – gelistet/ergänzt (ded)]
Kleine Geschichte des libyschen Öls inkl. einiger ›verbundener‹ Ereignisse
(nach: Jean Paul Sereni, Le Monde diplomatique, April 2011, S.5. Dort weitere Quellenangaben)

1912:
Italien erobert und kolonisiert Libyen (zuvor Teil des Osmanischen Reiches)
1930:
Erste Untersuchungen italienischer Geologen (›Verdacht‹ auf Erdöl).
1951:
Libyen wird ein unabhängiger Staat (eine ›Folge‹ des 2. Weltkrieges).
Staatsform: Monarchie, Idris I. Diese Monarchie (1951—1969) ist das Ergebnis der anachronistischen Allianz zwischen dem niedergehenden britischen Imperialismus und einer islamischen Bruderschaft aus der Sahara, der Sanusi (die auch den König stellt).
1953:
Die CIA (Gemeinschaftsaktion mit dem MI6) entmachtet Mohammad Mossadegh (Iran, Operation ›Ajax‹), weil er es gewagt hatte, gegen die Anglo-Iranian Oil Company (später BP) vorzugehen.
1955:
Neues Erdölgesetz (Konzessionen an verschiedene Gesellschaften, Konzession beschränkt auf fünf Jahre, Beschränkung auf einzelne Fördergebiete, ›Felder‹, zehn Gesellschaften beteiligt). Bisher: Iran – Anglo-Iranian Oil Company; Saudi-Arabien – Aramco; Irak – Iraq Petroleuom Company
1961:
Erster Tanker im Terminal (von Exxon eröffnet) in Marsa al-Burayqah (Brega). Innerhalb von knapp fünf Jahren Anstieg der Produktion auf eine Million Barrel pro Tag.
1962:
19 internationale Konzerne im Land, darunter Exxon, Shell, BP und Eni.
1967:
Schließung des Suez-Kanals. Eine Folge dew ›Sechstagekrieg‹ (Israel gegen Ägypten, Jordanien und Syrien).
1968:
39 internationale Konzerne in Libyen aktiv. Libysches Modell wird weltweit ›Muster‹.
1969:
Militärputsch (Oberst Muammar al-Gaddafi, Vorsitzender des ›Revolutionären Kommandorats‹).
1969:
›Preiskampf‹ ums Rohöl.
›Libyens‹ Berater: der ehemalige saudische Erdölminister Abdullah al-Tariki, auch als ›roter Scheich‹ bekannt. al-Tariki war Gründer der ›Organisation erdölexportierender Länder (OPEC-Kartell). 1962 Differenzen mit Kronprinz Faisal (Saud), daraufhin seines Amts enthoben.
Occidental (USA) gibt nach. Die ›Seven Sisters‹ ›bleiben hart‹.
(›Seven Sisters‹: Kartell der sieben großen Öl-Konzerne Standard Oil of New Jersey and Standard Oil of New York – nun: ExxonMobil, Standard Oil of California, Gulf Oil, Texaco, nun: Chevron, Royal Dutch Shell, Anglo-Persian Oil Company, now: BP). Um 1973 kontrollieren diese Gesellschaften etwa 85% der Weltförderung.
1970:
Die ›Seven Sisters‹ geben nach und akzeptieren nun ebenfalls die neuen Bedingungen.
Gleichzeitig ein ›Durchbruch‹ für die kleineren Gesellschaften und die europäischen Staatsunternehmen, da nun auch andere Länder die bisherige Monopolpraxis (siehe 1955) aufgeben.
Preise und Abgaben steigen um 20%.
1971:
Der algerische Staatschef Houari Boumedienne, ›provoziert‹ mit der Verstaatlichung der in französischem Besitz befindlichen Erdölvorkommen ein Embargo, das Algerien teuer zu stehen kommt.
1971:
Am 7. Dezember 1971 wird in Libyen die British Petroleum (BP) unter einem dürftigen Vorwand verstaatlicht.
BP besaß den Großteil des bedeutendsten libyschen Öl-Felds Sarir. Nach harten juristischen Auseinandersetzungen kommt es zu einer Übereinkunft: Libyen übernimmt die Kontrolle über sämtliche Erdöllagerstätten im Land. – Nach weiteren ›Reibereien‹ geben auch Gulf, Philips, Amoco, Texaco, Socal und andere ihre Förderstätten auf. Die Libyan National Oil Company (LNOC) übernimmt, ein nach US-amerikanischem Vorbild aufgebautes Staatsunternehmen.
Innerhalb von zehn Jahren verfünffachen sich die libyschen Staatseinnahmen.
1979
Die libyschen Staatseinnahmen belaufen sich auf inzwischen jährlich 10000 Dollar US pro Kopf der Bevölkerung gerechnet.
1979:
Im Dezember 1979 veröffentlicht das US-Außenministerium eine erste Liste von Staaten, denen sie Sympathien für den Terrorismus untersteIlt. Auf dieser Liste steht das ›Gaddafi-Regime‹ an prominenter Stelle, vor allem wegen seiner Unterstützung ›radikaler Palästinenserbewegungen‹. Kurz darauf schließt Washington seine Botschaft in Tripolis und verbietet US-Staatsangehörigen den Kauf von libyschern Rohöl.
1986:
Im Juni 1986 erklären die USA jegliche Handelsbeziehung mit der Dschamahirija (der neu erfundene Staatsname setzt sich aus den arabischen Wörtern für ›Volksmassen‹ und ›Republik‹ zusammen) für illegal.
1986:
6. US-Flotte bombardiert Tripolis (auf Befehl Ronald Reagans). Erdölembargo.
1988:
Anschlag auf eine Boeing 474 der PanAm (das Flugzeug explodiert am 21. Dezember 1988 über dem schottischen Lockerbie
1989:
Der Anschlag auf eine DC 10 der französischen Fluggesellschaft UTA im November 1989 löst internationale Sanktionen aus.
1989:
Rückschläge in der libyschen Wirtschaftsentwicklung, von Gaddafi in seinem ›Grünen Buch‹ als Mittelweg ›zwischen Kapitalismus und Sozialismus‹ dargestellt.
Da mit dem westlichen Kapital vor allem wichtige moderne Technologien ausbleiben (das ›Ausbleiben von ›westlichem Kapital‹ ist allerdings nicht der Punkt, sondern das Handelsembargo, das Verbot, nach Libyen zu liefern, unabhängig vom ›Geld‹-Geber/Investor/Herkunft; siehe 1986.1), geraten alle großen Projekte ins Stocken. Es gelingt zwar mit neuen Vertriebswege über Tunesien und Ägypten das Embargo (Ölexport) zu umgehen. Doch das System ist teuer.
1992:
Zwischen 1992 und 1999 sinkt das jährliche Wirtschaftswachstum auf 0,8%, das Pro-Kopf-Einkommen geht um 20% zurück. Die Unzufriedenheit wächst. Es kommt zu Putschversuchen und Rebellionen, vor allem im Osten (Bengazi), in der vernachlässigten Kyrenaika. Gaddafi ist zum Einlenken gezwungen. Er liefert die von der britischen Justiz wegen des Lockerbie-Anschlags angeklagten eigenen Geheimdienstleute nach Großbritannien aus und bezahlt großzügige Entschädigungen, (etwas bescheidenere auch für die 170 Opfer der DC 10).
2003:
Am 13. November 2003 werden die letzten internationalen Sanktionen gegen Libyen aufgehoben.
2003:
Am 19. Dezember 2003, neun Monate nach Beginn des Irak-Krieges, verkündete Gaddafi den Verzicht auf alle atomaren Rüstungspläne.
2004:
Im August 2004 werden von der LNOC Lizenzen für 15 neue Explorationsfelder versteigert. Die Bewerber stehen Schlange. 120 Unternehmen bekunden ihr Interesse, darunter mehrere britische und US-amerikanische Ölriesen. Von den 15 Explorations-›Blöcken‹ werden 11 US-Unternehmen wie Occidental, Amerada Hess und Chevron Texaco zugeschlagen.
2006:
Libyen zählt zur führenden Gruppe der erdölexportierenden Länder – nicht zuletzt mit Hilfe der großen US-Ölkonzerne.
Heute:
Das libysche Rohöl ist von exzellenter Qualität, Seine Fördergebiete liegen in kostengünstiger Entfernung zu den europäischen Raffinerien. Rund 15 Prozent des Verbrauchs in Frankreich und knapp unter 10 Prozent des Gesamtverbrauchs der Europäischen Union stammen aus Libyen.
| 2.5.11 | •••



9. Mai 2011 [Arbeitsplatz – eine ›Wunderwaffe‹. Für wen? (ded)]
Grafischer Kommentar zu einem bedeutenden Fetisch

Nach neuesten Umfragen soll die Begeisterung für die Parole ›Schaffung‹ [neuer Arbeitsplätze] inzwischen sogar auf Seiten der ›verkauften Arbeitskraft‹ – mit ›Arbeitsplatz‹ – abflauen. Bei der zunehmenden Zahl der Verkaufsversager entwickele sich die Lage hingegen dramatisch. Selbst allerneueste Euphemismen seien nach kurzer Zeit bereits wieder verschlissen. Der Wirkungsverlust infolge einer weithin verbreiteten, nicht immer treffsicher motivierten Berieselung sei mittlerweile besorgniserregend, so ein Sprecher des Systems. Ein Vergleich mit den bekannten Folgen überdosierter Antibiotika dränge sich förmlich auf. Als schnelle Reaktion wurde eine neue Kampagne angekündigt, die mit ausgeklügelter Finesse die Lust an unbezahlter Arbeit [Arbeitsplatz] subtil fördern und damit zur Stabilität der bestehenden Verhältnisse nachhaltig beitragen soll.

Hier nun der Trailer. Wir werden die Angelegenheit weiter beobachten.

Arbeitsplatz

| 9.5.11 | •••



10. Mai 2011 [Arbeitsplatz – arbeitslos: eine unvermeidliche Metamorphose? (ded)]
Vorwiegend die minderbemittelte Schuljugend ist desillusioniert

Die sich vor allem in niederen sozialen Schichten zunehmend verbreitende Hoffnungslosigkeit führe zu Motivationsverlusten gerade bei Jugendlichen, die zwar schon eine Schule besuchten, aber noch keine unmittelbar eigenen Versorgungsansprüche [Sozialleistungen] besäßen. Dies führe zu nachlassendem Wettbewerb um die Arbeitsplätze, so der Sprecher des Systems. Dadurch komme es neben bald zusätzlich anfallenden Versorgungsleistungen, deren Kosten je Fall sich kaum weiter absenken ließen, zu möglichen Lohnsteigerungen, die die ›Schaffung‹ von Arbeitsplätzen gefährden könne. Zwar sei ›Vollbeschäftigung‹, wie man sie aus der Nachkriegszeit kenne, eine Ausnahme – deren Voraussetzung unter den derzeitigen Gegebenheiten auch aus anderen Gründen niemand öffentlich das Wort reden wolle – eine Art irreales Wunschbild, als ›Endstation Sehnsucht‹ aber unabdingbar zur Aufrechterhaltung eines durch die Konkurrenz um den Arbeitsplatz zweckmäßig niederen Lohnniveaus.

Da an der Sache selbst nichts zu ändern sei – dies würde den Standort in seiner Profitabilität gefährden und letztendlich das System überhaupt –, seien verstärkt Gefühlslage und Stimmung in den Mittelpunkt der Bemühungen zu rücken. ›Wenn sich alle wohlfühlen, die einen Arbeitsplatz haben oder einen haben wollen, ist alles gut‹, so der Sprecher. Dazu müsse der Lohn nicht sehr hoch sein, wie es beispielsweise in China zu beobachten sei oder in Afghanistan, wo nur eingefleischte Fundamentalisten an Strukturen jenseits demokratischer Freiheiten festhielten oder es zumindest hartnäckig versuchten.

Hier nun ein Vorschlag für ein Poster. Kritisiert wurde die Lesevariante: ›Ich hab Lohnarbeiter. Sie lohnen sich lieb‹. Allerdings, so wurde dagegen eingewendet, liege eine solche assoziative Rekombination nicht im durchschnittlichen Erkenntnisvermögen der Zielgruppen.

Das Poster soll vor allem in Kindergärten, Tages- und Halbtagesstätten, Schulen, Schwimmbädern, Sozialämtern und in pädagogischen Hochschulen verbreitet und in Problemvierteln mit sozialen Brennpunkten auch im Großformat plakatiert werden. Dabei ist wegen größerer Auffälligkeit in dunkleren Stunden die Einführung selbstleuchtender Displays vorgesehen. Die voraussichtlichen Kosten je Stück liegen etwa in Höhe der Jahresleistung für einen durchschnittlichen Sozialhilfeempfänger.

Wir werden die Angelegenheit weiter beobachten.

Arbeitsplatz_2

| 10.5.11 | •••



11. Mai 2011 [Unendlich viel bis auf eins_ 1:0 (ded)]

Streuungen

Arbeitsplatz one to love

Besonders wegen der Bedeutung der nachwachsenden Generation, deren Nachhaltigkeit für den Arbeitsmarkt ausschlaggebend sei, werde nun auch geprüft, ob nicht die Verwendung von Anglizismen die Wirkung der Kampagne steigern könne. Dieses Verfahren habe sich bereits in vielen Bereichen bewährt – allerdings nicht in den USA.

Es bestätige sich dabei einmal mehr, daß auf Glückserwartung und Wunschdenken aufsetzende Motivationen keine reale Grundlage benötigten. Letztlich, so der Sprecher des Systems, könne jede beliebige Kombination sprachähnlicher Laute in eine attraktive Form gebracht werden. Jeder Unsinn besitze eine Potenz zum Hype. Und dies zudem recht kostengünstig. Es sei einfach so, daß vieles ohnehin nicht verstanden werde, auch überhaupt Unverständliches, aber lieber auf englisch. Die fremde Sprache lasse einfach mehr Spielraum. Dies bediene das Verlangen nach individueller Besonderheit und suggeriere dadurch das Gefühl größerer persönlicher Entscheidungsfreiheit.

An den beiden nun vorgelegten Beispielen sei das gut abzulesen. Wie sich gezeigt habe, interpretiere die überwältigende Mehrheit der Deutschen ›one to love‹ als ›einen‹ (›eine‹) ›zum Liebhaben‹ (›Lieben‹), was der Grundidee der Aufwertung des Ansehens breiter Volksschichten – anders gesagt: dem Arbeitsmarkt – sehr entspreche. Auch für diejenigen, deren Sprachkenntnisse ihnen die richtige Übersetzung in ›eins zu null‹ ermögliche, könnten sich selbst an Stelle der ›eins‹ sehen, seien also potentiell immer Gewinner. Trotzdem erlaube die sympathische Ausstrahlung von ›love‹ gerade in der Bedeutung von ›0‹ (null) weitere Anstrengungen, Sozialleistungen haushaltsneutral zu gestalten, unabhängig von einer wachsenden Zahl von Anspruchsberechtigten.

Ähnlich wie früher schon wurde kritisiert, die Interpretation von 1:0 als Division assoziiere die prinzipielle Unlösbarkeit des Problems innerhalb des bestehenden Systems. Entsprechend wurde eingewendet, eine solche assoziative Rekombination liege nicht im durchschnittlichen Erkenntnisvermögen der Zielgruppen und setzte ein gesellschaftliches Bewußtsein voraus, das durch verschiedene Maßnahmen während der vergangenen Jahrzehnte als zumindest neutralisiert betrachtet werden könne. Solche allgemeinen politischen Vorkehrungen würden auch in Zukunft alle Entwicklungen des Systems begleiten.

Vergleichbar mit dem ›1:0‹ sei ›worth the trouble‹. Denn es lasse dem Betrachter völlige Freiheit, sich phantasievoll ideologisch so zu plazieren, daß er als ›Belohnter‹ dastehe, ›worth‹ für sich habe, und die anderen – anonym – den ›trouble‹. Dies gelte allgemein für angenehmer als zu wissen, wer den ›trouble‹ hat oder so jemanden gar zu kennen. Zuletzt zeige auch die Berichterstattung von Kriegen, beispielsweise aus Afghanistan, wie das Bild eines stolz gefaßten, aber sonst kreuzfidelen Ministers die Stimmung entschieden mehr fördere als Bilder von Verstümmelten und Toten, Bilder vom gewöhnlichen Krieg. Wir würden, wenn überhaupt, deshalb auch nur ›totsaubere‹ Feinde zu sehen bekommen, keine Aufnahmen von den Einsätzen selbst, keine Frontbilder also.

Erneut vorgebrachte spitzfindige Überlegungen über den Doppelsinn von ›Belohnung‹ – vor allem in der Bedeutung von Arbeitslohn als nur eines Teils des Wertprodukts im Produktionsprozeß und damit im extremen Gegensatz zur ›Belohnung‹ für’s Liebsein, die ja üblicherweise kein Teil des Liebseins sei – wurde mit Hinweis auf das durchschnittliche Erkenntnisvermögen der Zielgruppen etc. verworfen. Andernfalls würde dies auch eine neuerliche Diskussion über Entwurf 2, ›Ich hab sie lieb‹ nach sich gezogen haben.

Wir werden die Angelegenheit weiter beobachten.

Lohnarbeiter worth the trouble

| 11.5.11 | •••



23. Mai 2011 [Aus den Debatten mit den Lokal-Geld-Alternativen. Ein weniger bekanntes Zitat (kursiv von hj). (ded)]

Immer derselbe Unsinn – zur einfältigen Sehnsucht: ein hartnäckiges diffuses Wunschdenken.Eventuell fördern ›überraschende‹ Literaturhinweise die Neigung zu nützlichen weiteren Studien (quasi passim) von längst ›erledigt‹ Geredetem statt …. Ausgelutscht altkluge Eklektizismen unter neuem Etikett sind kaum originell (continuous remake: ›nur ich bin ich wie ich bin‹), die immer gleiche neue Sau im Dorf (Campus), die immer gleiche Sau in neuen Kleidern: blöd und bloß – und vielleicht so, daß es einem aufgeweckten Publikum noch vor dem Abend dämmern mag. Nachts nämlich sind alle Katzen grau.

Grundrisse (Rohentwurf) (Dietz, 1974), S.88/89)

Die Arbeit des Einzelnen, im Akt der Produktion selbst betrachtet, ist das Geld, womit er unmittelbar das Produkt, den Gegenstand seiner besondren Tätigkeit, kauft; aber es ist ein besondres Geld, das eben nur dies bestimmte Produkt kauft. Um unmittelbar das allgemeine Geld zu sein, müßte sie von vornherein nicht besondre Arbeit, sondern allgemeine sein, d. h. von vornherein als Glied der allgemeinen Produktion gesetzt sein. In dieser Voraussetzung aber würde nicht erst der Austausch ihr den allgemeinen Charakter geben, sondern ihr vorausgesetzter gemeinschaftlicher Charakter würde die Teilnahme an den Produkten bestimmen. Der gemeinschaftliche Charakter der Produktion würde von vornherein das Produkt zu einem gemeinschaftlichen, allgemeinen machen. Der ursprünglich in der Produktion stattfindende Austausch – der kein Austausch von Tauschwerten wäre, sondern von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse bestimmt wären, durch gemeinschaftliche Zwecke – würde von vornherein die Teilnahme des Einzelnen an der gemeinschaftlichen Produktenwelt einschließen. Auf der Grundlage der Tauschwerte wird die Arbeit erst durch den Austausch als allgemein gesetzt. Auf dieser Grundlage wäre sie als solche gesetzt vor dem Austausch; d. h. der Austausch der Produkte wäre überhaupt nicht das Medium, wodurch die Teilnahme des Einzelnen an der allgemeinen Produktion vermittelt würde. Vermittlung muß natürlich stattfinden. Im erstren Fall, der von der selbständigen Produktion der Einzelnen ausgeht – sosehr diese selbständigen Produktionen durch ihre Beziehungen zueinander sich post festum bestimmen, modifizieren –, findet die Vermittlung statt durch den Austausch der Waren, den Tauschwert, das Geld, die alle Ausdrücke eines und desselben Verhältnisses sind. Im zweiten Fall ist die Voraussetzung selbst vermittelt; d. h. eine gemeinschaftliche Produktion, die Gemeinschafllichkeit als Grundlage der Produktion, ist vorausgesetzt. Die Arbeit des Einzelnen ist von vornherein als gesellschaftlich Arbeit gesetzt. Welches daher auch immer die besondre materielle Gestalt des Produkts sei, das er schafft oder schaffen hilft – was er mit seiner Arbeit gekauft hat, ist nicht ein bestimmtes besondres Produkt, sondern ein bestimmter Anteil an der gemeinschaftlichen Produktion. Er hat darum auch kein besondres Produkt auszutauschen. Sein Produkt ist kein Tauschwert. Das Produkt hat nicht erst in eine besondre Form umgesetzt zu werden, um einen allgemeinen Charakter für den Einzelnen zu erhalten. Statt einer Teilung der Arbeit, die in dem Austausch von Tauschwerten sich notwendig erzeugt, fände eine Organisation der Arbeit statt, die den Anteil des Einzelnen an der gemeinschaftlichen Konsumtion zur Folge hat. In dem ersten Fall wird der gesellschaftliche Charakter der Produktion erst durch die Erhebung der Produkte zu Tauschwerten und den Tausch dieser Tauschwerte post festum gesetzt. Im zweiten Fall ist der gesellschaftliche Charakter der Produktion vorausgesetzt und die Teilnahme an der Produktenwelt, an der Konsumtion, ist nicht durch den Austausch voneinander unabhängiger Arbeiten oder Arbeitsprodukte vermittelt. Er ist vermittelt durch die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, innerhalb deren das Individuum tätig ist. Die Arbeit des Einzelnen also unmittelbar zum Geld machen wollen (d. h. auch sein Produkt), zum realisierten Tauschwert, heißt sie unmittelbar als allgemeine Arbeit bestimmen, d. h. eben die Bedingungen negieren, unter denen sie zu Geld und Tauschwerten gemacht werden muß, und vom Privataustausch abhängt. Die Forderung kann bloß befriedigt werden unter Bedingungen, worin sie nicht mehr gestellt werden kann. Die Arbeit, auf Grundlage der Tauschwerte, setzt eben voraus, daß weder die Arbeit des Einzelnen noch sein Produkt unmittelbar allgemein ist; daß es diese Form erst durch eine gegenständliche Vermittlung erlangt, durch ein von ihm verschiedenes Geld. 

Gemeinschaftliche Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeitbestimmung natürlich wesentlich.
| 23.5.11 | •••


24. Mai 2011 [Aus den Debatten über ›automatische Subjekte‹. Hinweis auf einige Bedingungen (kursiv von hj). (ded)]
Immer gleicher Unsinn – zur einfältigen Sehnsucht: ein hartnäckiges diffuses Wunschdenken. – Kein remake ausgelutscht altkluger Gescheitheiten unter neuem Etikett: blöd und bloß – daß es einem aufgeweckten Publikum noch dämmert, bevor der Tag zu Ende ist. Nachts nämlich sind alle Katzen grau.

Grundrisse (Rohentwurf) (Dietz, 1974), S.79/80

Übrigens hier nur zu bemerken, daß die Übersicht über den Gesamthandel und die Gesamtproduktion, soweit sie faktisch in den Preiscourantlisten vorliegt, in der Tat den besten Beweis liefert, wie den Einzelnen ihr eigner Austausch und ihre eigne Produktion als sachliches, von ihnen unabhängiges Verhältnis gegenübertritt. Im Weltmarkt hat sich der Zusammenhang des Einzelnen mit Allen, aber auch zugleich die Unabhängigkeit dieses Zusammenhangs von den Einzelnen selbst zu einer solchen Höhe entwickelt, daß seine Bildung daher zugleich schon die Ühergangsbedingung aus ihm selbst enthält.) Die Vergleichung an der Stelle der wirklichen Gemeinschaftlichkeit und Allgemeinheit. 

(Es ist gesagt worden und mag gesagt werden, daß das Schöne und Große eben in diesem naturwüchsigen, vom Wissen und Wollen der Individuen unabhängigen und grade ihre wechselseitige Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit gegeneinander voraussetzenden Zusammenhang, materiellen und geistigen Stoffwechsel beruht. Und sicher ist dieser sachliche Zusammenhang ihrer Zusammenhangslosigkeit vorzuziehn, oder einem auf Bluturenge, Natur und Herrschafts- und Knechtschafts [verhältnissen] gegründeten nur lokalen Zusammenhang. Es ist ebenso sicher, daß die Individuen sich ihre eignen gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht unterordnen können, bevor sie dieselben geschaffen haben. Aber es ist abgeschmackt, jenen nur sachlichen Zusammenhang als den naturwüchsigen, von der Natur der Individualität (im Gegensatz zum Reflektierten Wissen und Wollen) unzertrennlichen und ihr immanenten [Zusammenhang], aufzufassen. Er ist ihr Produkt. Er ist ein historisches Produkt. Er gehört einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung an. Die Fremdartigkeit und Selbständigkeit, worin er noch gegen sie existiert, beweist nur, daß sie noch in der Schöpfung der Bedingungen ihres sozialen Lebens begriffen sind, statt von diesen Bedingungen aus es begonnen zu haben. Es ist der Zusammenhang, der naturwüchsige, von Individuen innerhalb bestimmter, bornierter Produktionsverhältnisse. Die universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eignen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eignen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind, sind kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte. Der Grad und die Universalität der Entwicklung der Geschichte. Der Grad und die Universalität der Entwicklung der Vermögen, worin diese Individualität möglich wird, setzt eben die Produktion auf der Basis der Tauschwerte voraus, die mit der  Allgemeinheit die Entfremdung des Individuums von sich und von andren, aber auch die Allgemeinheit und Allseitigkeit seiner Beziehungen und Fähigkeiten erst produziert. Auf frühren Stufen der Entwicklung erscheint das einzelne Individuum voller, weil es eben die Fülle seiner Beziehungen noch nicht herausgearbeitet und als von ihm unabhängige gesellschaftliche Mächte und Verhältnisse sich gegenübergestellt hat. So lächerlich es ist, sich nach jener ursprünglichen Fülle zurückzusehnen, so lächerlich ist der Glaube bei jener vollen Entleerung stehnbleiben zu müssen. Über den Gegensatz gegen jene romantische Ansicht ist die bürgerliche nie [hin]ausgekommen, und darum wird jene als berechtigter Gegensatz sie bis an ihr seliges Ende begleiten.) 
| 24.5.11 | •••



26. Juni 2011 [Arroganz (ded)]
›His master’s voice‹: eine Verpflichtung?

Ist es eine Beleidigung [für US-Amerikaner], wenn andere Leute innerhalb ›ihres‹ Gebiets (Staat, Land) ihre eigene Sprache benutzen? Müssen US-Amerikaner dabei anwesend sein, zuhören, oder genügt bereits die einfache Tatsache?
[Nota: Die Verweigerung freiwilliger Subordination unter ›fremdbestimmte‹ Sitten und Gebräuche, Ansichten und Ausdrucksweisen ist nicht gleichzusetzen mit jeweils eigenem Nationalismus (umgekehrter Dominanz). Der Gegensatz zu ›nationalistisch‹ ist ›internationalistisch‹. Der Gegensatz von bspw. ›US-amerikanischem‹ zu ›deutschem‹ Nationalismus ist nur Gegensatz innerhalb des (als selbstverständlich vorausgesetzten ›allgemeinen, naturgegebenen‹) Nationalismus. Ein solcher Gegensatz trifft nur das Attribut, nicht das Wesen, das eigentlichen Übel.]

U.S. soccer star livid over ceremony [US-Fußballstar wütend über die Abschlußzeremonie][Headline/Schlagzeile bei ›Yahoo‹]
Tim Howard says [Mexican] officials should be ashamed for how they chose to celebrate Mexico's victory.

Tim Howard pulls a Drogba, calls Gold Cup ceremony a disgrace.‹
[Was war passiert?]

›One might think that losing 4-2 after starting a cup final against your biggest rival with a 2-0 lead would be sole focus of any and all post-match rantings from the losing team. But U.S. goalkeeper Tim Howard found time to do his best Didier Drogba impression over the language in which CONCACAF conducted the post-match trophy presentation after his side did just that.

»CONCACAF should be ashamed of itself,« Howard said. »I think it was a fucking disgrace that the entire post-match ceremony was in Spanish‹ [offizielle Landessprache in Mexico; abgesehen von Kanada und den USA ist Spanish die offizielle Landessprache fast aller amerikanischen Mitgliedsverbände (Brasilien portugiesisch)]. You can bet your ass if we were in Mexico City it wouldn't be all in English.«‹ [Trotz der Verwertungsbedingungen auf dem TV-Sport-Markt, kontrolliert von US-amerikanischen Mediengesellschaften. Es wundert allerdings doch etwas, Mexico-Stadt ist die Hauptstadt von Mexico, es gilt dort diesselbe offizielle Landessprache wie im übrigen Mexico. Oder vertritt Howard die Meinung, die Metropolen ›kleinerer (Satelliten-)Staaten‹ seien bereits eine Art ›befreiter‹ US-Gebiete? – Nein. Solche Spektakel sind Unterhaltung für gewisse Kreise in den Metropolen, von dort kommt das Kapital und fließt dahin auch zurück. Die Peripherie stellt, was das Publikum anbelangt, nur pittoreske Staffage und – aus öffentlichen Kassen – ein paar* Dollar für die Ausstattung. (*paar entsprechend Milliarden).]

Ein Standpunkt ›not really amazing‹, nicht wirklich überraschend.  Besonders die Aufsteiger, eine Art bürgerlicher (kapitalistischer) »Kleinadel«, die Parvenus, degradieren (Persönlichkeit) gerne zu 150prozentigen. Das gilt nicht bloß für die USA. Unzählige Beispiele auch in Europa und gerade in der Bundesrepublik Deutschland, besonders im Fußballgeschäft.
| 26.06.11 | •••



24. Dezember 2011 [(ded)]
›Urbi et orbi‹ oder die fröhliche Astronomie.

*dear tears, friends, bubbles,
Arglose, Wohlmeinende,
Aktivisten und Passive cpt.,
Wundergläubige zur Jahreszeit,


erst haben wir das Singen verloren, dann sind wir stumm geworden.
Es wird uns aber gesungen, im höchst individuellen Singular-Look, ei[phon], ei[pod], ei[pad], ei[tunes] – i-i-i-i – iiii. Falls wir es ›wollen bezahlen können müssen‹. Das ist nicht bloß eine Frage des Preises.

Wer will schon blöd sein? Man meint vielleicht niemand. Man könnte irren beim Meinen.

Aber wo ist unsere Stimme geblieben? Was sonst ist uns gleichermaßen schon unbemerkt abhanden gekommen? Gib es ein politisches Laudanum für anhaltende partikuläre Demenz? Macht das abhängig?

Anscheinend schon, zumindest genügend.

Beispielsweise – es kommt aus den USA, per se besonders glaubhaft daher, auch ohne Rinnen – wo Thomas Friedman in der New York Times am 29.10.2011 selten klar gesagt hat: ›Unser Bundestag - heißt dort Kongress - ist ein Forum für legalisierte Bestechung‹. Deutlicher, man kann Gesetze und Verordnungen ›kaufen‹, eine Lebensarbeitszeitverlängerung, Steuer(ver)Schiebung oder ›Schuldenübernahmen‹, falls die ›Spende‹ too big to fail ist, womit wir in den modernen Weihnachtstagen wären oder auch bei einem ›subprime‹ doch rentablen Krieg.

Wie billig, wie rentabel, das hängt wohl ab vom Privatvermögen, geistig, moralisch, finanziell, des zuständigen Kabinetts oder der anderen Repräsentanten und [Entscheidungsaus]Führer drum herum. Klar, Rinnen immer inclusive. Es sind ja irgendwie doch Menschen aus Fleisch und Blut.

Tatort Markt

Ähnlich deutlich und dabei näher am Fall meint Gore Vidal: ›Es gibt nur eine Partei in den USA, die [Privat]Eigentumspartei […], und die hat zwei rechte Flügel: Republikaner und Demokraten.‹

Zumindest bei uns gibt man sich mit so wenigen Flügeln nicht mehr ab. Da wird eher die Parole vom ›demokratiegerechten Markt‹ aufgegeben [Wohlstand in Freiheit etc.]. Worthülsen sind zähe Dinger leicht gesagt. Vielleicht erklärt ja mal einer das Besondere an der Beständigkeit der Leere [politischer Phrasen].

Warum auch soll man an einem [Märchen]Bild festhalten, wo bloß das Märchen zählt? Das ist so überflüssig wie ein formales Ermächtigungsgesetz in einer ›marktgerechten Demokratie‹. So ein kleiner Notstand läuft eben besser ohne Gesetz (das Parlament, dem Gewissen seiner Abgeordneten verpflichtet, schleicht sich). Wie man sagt, vertraulich. Chefsache. Wen geht schon an, was da passiert? Aus einem Schwein wird eben Schinken. Basta.

Ohne ›Klassenbewußtsein‹ macht niemand heiß, was er nicht weiß. Oder ist Ignoranz doch ein Argument auf dem Schlachthof?

Anbei eine ›Grußkarte‹, Erläuterung, bunt wie ein Weihnachtsbaum, einmal ganz anders.

Schweineorgan

Ob mir auch gesungen wird?


| 24.12.11 | •••